Schwarzer Schwan: Bedeutung für Wirtschaft und Börse
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Reza Machdi-Ghazvini, CAIAEventuell bist du, als es um die Börse oder um allgemeine Wirtschaftsthemen ging, mal über den Begriff des „Schwarzen Schwans“ gestolpert. Und du fragst dich jetzt, was es damit auf sich hat?
Das Bild des schwarzen Schwans geht auf den Satiriker Juvenal zurück, der ein römischer Dichter war.
Dieser sagte einst, hoch ironisch, dass eine treue Ehefrau „ein seltener Vogel in allen Ländern, am ähnlichsten einem schwarzen Schwan“ ist.
Damals machte dieser „Witz“ Sinn, denn zum damaligen Zeitpunkt ging man in Europa davon aus, dass es keine schwarzen Schwäne gibt. Und tatsächlich wurden sie erst 1697 in Westaustralien durch Willem de Vlamingh entdeckt.
Unabhängig davon hat sich der Begriff des Schwarzen Schwans für unerwartete Ereignisse gehalten und wurde maßgeblich von Nassim Taleb während der Finanzkrise geprägt.
Das wirst du in diesem Ratgeber lernen:
Was ist ein Schwarzer Schwan?
Ein Schwarzer Schwan wird definiert als seltenes und höchst unwahrscheinliches Ereignis, das die allgemeine Wirtschaftslage erheblich erschüttert und entsprechende Auswirkungen auf die Börse hat.
Der Begriff des schwarzen Schwans wurde im Wirtschaftskontext das erste Mal von Nassim Nicholas Taleb in seinem 2001 erschienen Buch „Fooled By Randomness“ (deutscher Titel „Narren des Zufalls") erwähnt.
Demnach ist nach Taleb ein Schwarzer Schwan ein Ereignis, das selten und höchst unwahrscheinlich ist.
Nach dieser Definition sind wesentliche Entdeckungen und geschichtliche Ereignisse der Menschheit nach Schwarze Schwäne.
Zum Beispiel war auch die Entdeckung von schwarzen Schwänen in Australien so eine wesentliche Entdeckung, denn bis dahin war die Menschheit davon ausgegangen, dass es sie nicht gibt
In Ordnung, was hat das jetzt mit der Wirtschaft und Börse zu tun?
Genauso wie mit den schwarzen Schwänen in Australien kann es auch an den Finanzmärkten zu seltenen und wesentlichen Entdeckungen (Krisen) kommen.
In seinem 2007 erschienenen Buch „The Black Swan“ (dt. Titel „Der Schwarze Schwan“) geht Taleb explizit auf diese Ereignisse ein.
Dabei trifft er die Behauptung, dass sich Black Swan Events (Ereignisse) nicht vorhersehen lassen, gerade weil sie so selten sind.
Das Bedauerliche dabei ist, dass diese Events katastrophale Auswirkungen haben.
In diesem Zusammenhang trifft Taleb auch die sehr kontroverse Behauptung, dass insbesondere Systeme, die als besonders sicher gelten, sich einem besonders hohen Black Swan Risiko aussetzen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass es sich nach Taleb nicht bei jedem seltenen Ereignis um einen Black Swan Event handelt.
Wann sind die Kriterien für einen Schwarzen Schwan erfüllt?
Nach Taleb müssen drei Kriterien erfüllt werden, damit es sich bei einem Ereignis um einen Schwarzen Schwan handelt:
Bei dem Ereignis handelt es sich um eine Überraschung.
Das Ereignis hat große Auswirkungen.
Nachdem das Ereignis eingetreten ist, wird es im Nachhinein rationalisiert, als hätte es vorhergesagt werden können. Außerdem wird behauptet, dass es in der Vergangenheit relevante Daten gegeben hätte, die zur Risikominderung hätten genutzt werden können. Das Gleiche gilt für die persönliche Wahrnehmung von beteiligten Personen, die direkt oder indirekt beteiligt waren.
Nach Taleb handelt es sich nur dann um einen schwarzen Schwan an der Börse, wenn alle genannten Kriterien zutreffen. Sonst handelt es sich oft um einen grauen Schwan.
Nassim Nicholas Taleb über den Schwarzen Schwan (Englisch)
Schwarzer Schwan vs. Grauen Schwan
Neben schwarzen Schwänen definiert Taleb auch graue Schwäne.
Ein grauer Schwanz ist ein Ereignisse, für das im Vorhinein eine realistische Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.
Dadurch unterscheiden sie sich von schwarzen Schwänen, bei denen von einer so niedrigen Wahrscheinlichkeit ausgegangen wird, dass ein mögliches Eintreten als unmöglich gilt.
Genauso wie schwarze Schwäne haben auch graue Schwäne potenziell große Auswirkungen auf das Weltgeschehen, sowohl im Positiven als auch im Negativen.
Anschauliche Beispiele für graue Schwäne sind der Hurrikane Katharina, der Brexit oder auch die Wahl von Donald Trump zum Präsident der USA im Jahr 2016.
Auch die Erfindung des Internets kann als grauer Schwan verstanden werden.
Zwar lassen sich graue Schwäne ebenfalls nur schwer vorhersagen, da aber ihr Eintreten wahrscheinlicher ist als bei schwarzen Schwänen, ist es möglich, sich auf diese Ereignisse vorzubereiten. Selbst dann, wenn sie nur sehr selten auftreten.
Beispiele für Schwarze und graue Schwäne
Im Folgenden schauen wir uns einige Ereignisse an, die große Auswirkungen auf das allgemeine Wirtschaftsleben hatten und entsprechend auch die Börsen bewegt haben.
Bei der Bewertung der Ereignisse orientieren wir uns an den drei vorher erwähnten Kriterien, die für einen Schwarzen Schwan erfüllt sein müssen.
⚡ Terroranschläge 9/11
Bei den Terroranschlägen auf die USA am 11.09.2001 handelt es sich zweifelsohne um ein Black Swan Event.
Sie kamen überraschend
Sie hatten große Auswirkungen, nicht nur auf das Wirtschaftsleben, sondern auf das Sicherheitsempfinden der Amerikaner
Im Anschluss traten zahlreiche Experten in Erscheinung, die schon seit „Jahren“ vor der Bedrohung, die von den Taliban ausging, gewarnt haben.
Und dass auch die USA nicht mit solchen Anschlägen gerechnet haben, zeigte sich an der anschließenden heftigen Reaktion.
⚡ Globale Finanzkrise 2008
War die globale Finanzkrise ein Schwarzer Schwan? Ohne Zweifel lässt sich diese Frage mit Ja beantworten.
Sie kam überraschend (und völlig unvorhersehbar).
Sie hatte große Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben und die Wohnsituation, insbesondere auf die der Amerikaner. In Europa trieb sie in der Folge beinahe einige Staaten in den Bankrott.
Sie wurde im Nachhinein von zahlreichen Finanz- und Börsenexperten als vorhersehbar bezeichnet, darauf hätten genügend Indikatoren und sonstige Kennzahlen hingewiesen.
Speziell den letzten Punkt, dass die globale Finanzkrise hätte vorhergesagt werden könnten, nimmt Nassim Nicholas Taleb auf.
Dabei geht er vornehmlich auf den Value at Risk Ansatz ein, dem zu diesem Zeitpunkt viel Beachtung im Risikomanagement von Banken gewidmet wurde.
Darauf werden wir später noch etwas genauer eingehen.
⚡ Coronakrise
Während es sich bei den vorherigen zwei genannten Ereignissen eindeutig um Schwarze Schwäne handelte, lässt sich das nicht für die Coronakrise behaupten.
Warum?
Sie kam zwar überraschend, war aber nicht völlig unvorhersehbar (für eine Pandemie kann eine gewisse Wahrscheinlichkeit basierend auf historischen Zahlen angenommen werden)
Sie hatte große Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben, hauptsächlich wegen der Shutdowns in vielen Ländern.
Nach Ausbruch der Coronakrise wurde sie von einigen Gesundheitsexperten und anderen „selbst-erklärten“ Experten rationalisiert. Mitunter wurde die Meinung vertreten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es zu einer Pandemie kommt.
Demnach handelt es sich bei der Coronakrise um keinen schwarzen Schwan.
Dagegen spricht insbesondere, dass eine Pandemie, so bedauerlich diese auch nicht, immer wieder auftreten kann.
Des Weiteren zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit, dass die Menschheit immer wieder von Pandemien erschüttert wurde.
Daher kann die Coronakrise, wenn überhaupt, als grauer Schwan definiert werden. Nassim Taleb bezeichnete sie sogar in einem Interview als weißen Schwan, da nach seiner Ansicht Pandemien normal sind, vornehmlich für unser heutige moderne Welt.
Zugegebenermaßen wirkt diese Meinung als etwas mutig.
Zwar kann es immer und jederzeit wieder zu einer Pandemie kommen, dennoch handelt es sich dabei nach unserer Meinung nach um ein seltenes Ereignis, weshalb wir die Coronakrise als grauen Schwan bezeichnen würden.
Welche Folgen hat ein Schwarzer Schwan für Börse & Wirtschaft?
Schwarze Schwäne haben in den meisten Fällen negative Auswirkungen auf die Börsen: Meistens rauschen die Kurse erst einmal in den Keller.
Dieses Muster ließ sich bei den Terroranschlägen 9/11 und während der globalen Finanzkrise beobachten. Ebenfalls zu Beginn der Coronakrise (grauer Schwan) kam es zu großen Kursverwerfungen.
Von ihrer Panik getrieben werfen die Anleger ihre Wertpapiere auf den Markt und schichten ihr Kapital in vermeintlich sichere Geldanlagen wie Staatsanleihen mit einer hervorragenden Bonität um. Teilweise wird auch in physisches Gold investiert.
Davon betroffen sind alle Anleger. Unabhängig davon, ob du in Aktien, Anleihen, ETFs und Fonds investiert hast.
Dieses Risiko wird im Übrigen auch als „systematisches Risiko“ bezeichnet. Das Problem bei diesem ist, dass du als Anleger nichts dagegen tun kannst.
Umso wichtiger ist es, dass du deine Geldanlagen auf ein breites Fundament stellst. Das bedeutet, dass du dein eingesetztes Kapital auf unterschiedliche Anlagen verteilt hast.
Falls du nämlich während so einer Marktphase hohe Risiken eingegangen bist, etwa wenn du die Risiken bei deinen Geldanlagen nicht ausreichend verteilt hast, wird dich das überdurchschnittlich hart treffen.
Und wie du weißt, benötigst du ca. das Doppelte an Rendite, um einen Maximum Drawdown aufzuholen.
Hast du etwa einen Kursverlust von 50 % erlitten, benötigst du eine Rendite von 100 %, um diesen aufzuholen.
Wie verhalte ich mich bei einem Schwarzen Schwan Event?
Zunächst einmal gilt bei einem Schwarzen Schwan das Gleiche wie in allen anderen Stress-Situationen: Ruhe bewahren.
In keinem Fall solltest du panisch deine Wertpapiere verkaufen oder andere Anlageentscheidungen treffen, die du im Nachhinein bitter bereuen würdest.
Vergangene Black Swan Events zeigen, dass die Märkte in vielen Fällen die Wertverluste schnell wieder aufholen konnten.
Im Übrigen kannst du ein Black Swan Event auch als Chance sehen. Vermutlich wirst du die Aktien von so manchen Qualitätsunternehmen nicht so schnell zu so günstigen Kursen wieder erwerben können.
Das gilt sowohl für Direktinvestitionen als auch für Geldanlagen über Fonds und ETFs.
Value at Risk (Definition) und Black Swan Events
Speziell während der globalen Finanzkrise 2008 wurde die Black Swan Theorie von Taleb einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Ein zentraler Kritikpunkt von Taleb war, dass die Normalverteilung nicht als Risikomaß für Geldanlagen genutzt werden kann.
Was sich heute leicht liest, war damals eine kritische Aussage: Zum damaligen Zeitpunkt stützen sich viele Finanzmodelle, wie auch der Value at Risk (VaR) Ansatz, auf die Normalverteilung.
Diese wurden von so gut wie allen Banken und anderen Finanzinstituten genutzt, um ihre Risiken proaktiv zu verwalten.
Value at Risk
Während und nach der Finanzkrise wurde der Value at Risk Ansatz heftig kritisiert.
Der technologische Fortschritt durch Computer begünstigte die Anwendung von statischen Verfahren zur Steuerung von Markt- und Kreditrisiken.
Unter den Marktteilnehmern setzt sich der Konsens durch, dass Kursveränderungen normalverteilt (genau genommen Log normalverteilt) sind.
Falls dir die Normalverteilung nichts sagt, sie sieht aus wie eine Glockenkurve.
Wenn du beim Auftreten von Ereignissen feststellst, dass diese normalverteilt sind, ist das mathematisch gesehen von Vorteil, da du die Annahmen der Normalverteilung verwenden kannst.
Wenn du zum Beispiel annimmst, dass Aktienkurse normalverteilt sind, kannst du damit bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Aktienkurs voraussichtlich zwischen welchen Grenzen notieren wird.
Schaust du dir etwa die historischen Tagesrenditen (Quelle: yahoo Finance) des Deutschen Aktienindexes (DAX) vom 04.2010 bis zum 02.2020 in einem Chart an, wirst du typische „Glocke“ der Normalverteilung erkennen.
Allerdings solltest du dich jetzt nicht auf die Glocke konzentrieren, sondern auf die kleinen Balken links im Bild.
Denn bei diesen sind Black Swan oder Gray Swan Events. Also die schwarzen und grauen Schwäne an der Börse.
In Ordnung, aber was hat das nun mit dem Value at Risk Ansatz zu tun?
Schauen wir uns die Definition und Anwendung des Value at Risk Ansatz einmal zusammen an.
Der Ansatz macht sich die erwähnte Normalverteilung (Glockenkurve) zunutze.
Im Grunde möchtest du mit dem Value at Risk Ansatz herausfinden, wie viel Geld du aktuell riskierst (daher auch der Name at Risk vom Englischen im Risiko).
Dabei berechnest du zunächst die Tagesvolatilität (Schwankungen) über einen Zeitraum und kannst dir daraus ableiten, wie viel Geld du maximal in einem betrachteten Zeitraum verlieren kannst.
Beispiel zur Berechnung des Value at Risk Ansatzes
Wir nehmen an, dass du eine Aktie für 100.000 € gekauft hast, die eine Tagesvolatilität von 5 % hat und du planst, die Aktie über 10 Tage (2 Wochen) zu halten.
Jetzt möchtest du für diese 10 Tage wissen, mit welchem maximalen Verlust du mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % rechnen musst (95 % oder 99 % sind typische Werte für den VaR Ansatz).
In diesem Fall berechnest du also den Value at Risk wie folgt:
100.000 € * 0,05 Wurzel(10) * 1,645
Die 1,645 leiten sich aus der Normalverteilung ab (du suchst einfach den Wert für 0,95 heraus).
Nach dem Value at Risk Approach wird also ein maximaler Verlust von ca. 26.000 € mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % nicht überschritten.
Das klingt gut doch gut, oder?
Jetzt weißt du mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit, dass du nur 26.000 € riskierst.
Und genau das ist die Falschannahme nach Taleb, die so viele Banken während der Finanzkrise ins Verderben gestürzt hat.
Wenn du dir nämlich noch mal das Häufigkeitsdiagramm anschaust, wirst du feststellen, dass die schwarzen Schwäne sehr weit weg sind von den anderen Balken.
Zur Erinnerung, die schwarzen (und grauen) Schwäne sind die Balken ganz links auf dem Diagramm.
Die Normalverteilung wird daher für das Eintreten eines schwarzen Schwans eine sehr niedrige (faktisch nicht vorhandene) Wahrscheinlichkeit annehmen: Ihr Eintreten ist nahezu unmöglich.
Statistisch gesehen gibt es diese Ereignissen sozusagen nicht.
Während es für die Finanzkrise vermutlich mehrere Gründe gab (die sich im Nachhinein verständlich erklären lassen), zählt eben genau diese Falschannahme zu den Gründen, weshalb die Finanzkrise das Potenzial hatte, die Weltwirtschaft in den Abgrund zu reißen.
Der Value at Risk Ansatz ging für solche Ereignisse von einer so geringen Wahrscheinlichkeit aus, dass sich die Banken darauf verließen und daher viel zu hohe Risiken eingingen.
Fazit – Schwarzer Schwan Börse
In diesem Ratgeber haben wir uns damit beschäftigt, was ein schwarzer Schwan ist: Dieser steht für ein überraschendes Ereignis, das schwere Konsequenzen für die Wirtschaft und Börse hat.
Des Weiteren werden Schwarze Schwäne im Nachhinein rationalisiert und es wird angenommen, dass es möglich gewesen wäre, das Risiko, das von ihnen ausgeht, zu begrenzen.
Von den schwarzen Schwänen sind die grauen Schwäne zu unterscheiden, für die grundsätzlich eine Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann. Da graue Schwäne aber auch große Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben haben, werden sie oft mit Schwarzen gleichgesetzt.